Freitag, 24. Januar 2014

Liberty in der Gruppe

Ein sonniger Vormittag in Florida - 18 Menschen und 18 Pferde gemeinsam auf einem grossen Reitplatz - ohne Halfter oder Seil. Klingt wie ein Selbstmordkommando, oder zumindest eine Garantie auf Schlägereien unter den Pferden? Nun, das muss nicht sein - wie wir gestern eindrucksvoll erlebt haben :-)

Dass das natürlich nicht mal eben so geht, ist klar. Am Mittwoch vormittag haben wir uns darauf vorbereitet, und das war wiederum eine hochspannende Angelegenheit. Die Idee ist folgende - nicht wir wollen unser Pferd behalten, sondern das Pferd will BEI UNS bleiben. AHA. Zitat von Carol Coppinger "The lead mare does not beg. She leaves, and expects the herd to follow". Die Leitstute geht einfach, sie schaut sich nicht um und wartet, ob auch wirklich alle kommen.

Die Herausforderung für uns Menschen ist nun, eine so gute Leitstute zu werden, dass unsere Pferde mit uns kommen WOLLEN. Dazu machten wir folgende Übung:

Die Gruppe sammelt sich in der Mitte der Reitbahn, die Aussenbahn bleibt frei. Jeweils ein Mensch/Pferd Paar geht nach draussen an den Zaun at Liberty, also ohne Halfter. Der Mensch marschiert los, als ob er ein Ziel hätte. Wenn das Pferd mitkommt, ist das gut. Wenn nicht, helfen die Menschen in der Mitte, das Pferd in Bewegung zu halten, bis es SEINEN Mensch wiederfindet. Das ist die Gruppenversion vom "Catch me Game" - Fangen spielen. Wenn das schon gut klappt, kann es noch gesteigert werden ins "Bet you can't catch me" Spiel (ich wette Du kannst mich nicht fangen), wo wir als Mensch es drauf anlegen, unser Pferd zu verlieren - zB durch rasche Richtungsänderungen oder Davonsprinten - und es die Aufgabe des Pferdes ist, bei uns zu bleiben. Wenn man dann umdreht und davonläuft, macht derjenige aus der inneren Gruppe, der ursprünglich vor dem Pferd gewesen ist, Druck mit dem Stick und String in Richtung zum Zaun. Dann denkt das Pferd "wow meine Leitstute ist super, die hat gewusst dass sich da Gefahr befindet".

Dieses Spiel war super mitzuerleben - die unterschiedlichen Horsenalities zu sehen, wie viel oder wenig Druck es braucht, das Pferd in Bewegung zu halten - zu realisieren, dass für manche Pferde schon die Energie unseres Bauchnabels so viel Druck bedeutet, dass sie nicht daran vorbeigehen können. Es gibt ein Pferd, da musste die gesamte Innengruppe auf die andere Seite weichen, damit es am Zaun entlanglaufen konnte.

So ganz nebenbei hat uns Carol dann noch demonstriert, wie sie ihren Pferden das Hinlegen beigebracht hat - und Sol als Sofa verwendet :-) Hinlegen ist ein Porcupine-Spiel, und braucht ganz viel Vertrauen und Entspannung vom Pferd, sonst kann man es gerade vergessen.

Das war also wieder ein eindrücklicher Vormittag - weitere werden folgen :-)

Mittwoch, 22. Januar 2014

Parelli Instruktoren-Weiterbildung in Florida - Stufen des Lernens

Wow, was soll ich sagen? Der 2. Kurstag ist um, und schon jetzt hab ich so viel gelernt, dass es den Aufwand herzukommen jedenfalls wert war :-)

Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll ... vielleicht mal mit meinem Leihpferd, Sam. Es ist eine ziemliche Herausforderung, so einen Kurs mit einem Pferd zu absolvieren, das man gar nicht kennt - und eine ungemeine Bereicherung :-) Fremde Pferde machen uns sehr schnell klar, wo sich unsere "Löcher"befinden. Mit dem eigenen Pferd haben wir ein Arrangement gefunden, das uns beiden passt, unseren "Vertrag", wie Mike Wanzenried gerne sagt. Vorne steht, was wir machen können, und hinten steht, was wir besser lassen sollten. Und oft ist die Hinterseite viel länger als die Vorderseite ;-) 

Mit einem fremden Pferd muss man diesen Vertrag erst verhandeln - das ist schon ziemlich spannend. Und ich habe entdeckt, dass ich erst mal zu vorsichtig bin, besonders beim Reiten. Glücklicherweise ist die Besitzerin von Sam auch anwesend, also konnte sie mir sagen, was er schon können sollte. Ein Punkt, wo ich schnell gemerkt habe, dass ich da zu nachlässig bin - wohl auch mit meinen eigenen Pferden - ist "halte an einem hohen Standard fest, und erinnere ihn an seine Verantwortung!" Denn je mehr wir tun (und dabei das Pferd micro-managen), desto weniger wird es von sich aus tun. Das führt dann zB zu Pferden, die ewig getrieben werden müssen und doch nicht vorwärtsgehen ... oder ständig gehalten werden müssen und trotzdem davonrennen.


Das war für mich besonders interessant, denn mit meinem Pferd habe ich üblicherweise eher das Problem zu bremsen. Sam hingegen neigt dazu, stehenzubleiben wenn ihm etwas nicht passt (oder zu bocken - typisch LB). Aber - "forward is the key", wie Carol Coppinger, unsere Kursleiterin, mehrfach betont hat - besonders wenn es dann um so Dinge wie fliegende Galoppwechsel geht. Ich hatte heute also die Gelegenheit, meinen "Go-Button" zu richten.

Um das zu erklären, muss ich noch etwas ausholen - auch ein Thema, das wir heute vormittag im Kurs besprochen haben. Es gibt ja die "Stages of Learning", also Stufen des Lernens.
1. Teaching - Lehren
2. Controlling - Kontrolle
3. Reinforcing - Verstärkung
4. Refining - Verfeinerung

Und es ist SEHR wichtig, dass wir uns bewusst sind, in welcher Stufe wir uns gerade befinden. Denn je nach Stufe müssen wir unsere 4 Phasen unterschiedlich anwenden, um vorwärtszukommen. Kurz gesagt:
1. Teaching = Phasen 1 - 2 - 3 - 4 alle etwa 3-4 Sekunden lang, Phase 4 (falls nötig) bis das Pferd reagiert
2. Kontrolle = Phase 4. Da geht es um unsere Sicherheit, da muss SOFORT etwas passieren.
3. Verstärkung = LAAAAANGE Phase 1, dann schnell zu Phase 4 
4. Verfeinerung = wir sollten nicht mehr als eine kleine Phase 2 brauchen, bzw. was vorher 2 war, ist jetzt vielleicht schon 4. Wir werden also noch subtiler.

Also, um jetzt das Vorwärts von Sam zu verbessern (Stufe 3 - verstärken), hab ich dann folgende Übung gemacht:
Halten. Aus dem Halt antraben, indem ich meine Energie hochbringe ("Smile with all 4 cheeks") und die Beine LEICHT zumache. 3 Sekunden warten - wenn dann nix passiert ist, mit dem String an der Kruppe touchieren, und zwar nur EIN Mal. Dann "Reset", alles loslassen, von vorne beginnen. Beim 3. Mal ist er davongeschossen wie eine Rakete, mit einem sehr guten Vorwärts-Trab, und damit war das Thema erledigt (zumindest für den Rest des Nachmittags). Hätte ich ihn hingegen im Trab einfach immer mehr getrieben und ihn daran gehindert, langsamer zu werden, wäre es ein ewiges Gemurkse geblieben. Hmmm - sehr spannend!!!

Und zum Abschluss noch ein Zitat von Carol "Dwell time is priceless" - heisst soviel wie Zeit zum Nachdenken zu geben ist enorm wichtig ... das mach ich jetzt ;-) Denn nachdem es hier nämlich gerade mal 4 Uhr morgens ist, werde ich nun noch eine Runde schlafen, bevor Tag 3 des Kurses anbricht, und Euch Zeit zum Nachdenken geben. Weitere Updates vom Kurs folgen demnächst ;-)

Samstag, 4. Januar 2014

Raubtiere, Instinkte und Stress

Ok. Also was haben diese Begriffe miteinander zu tun? Eine ganze Menge, wenn man es im Rahmen des Natural Horsemanship betrachtet:

Zuerst mal das Raubtier. DAS ist unsere menschliche Natur, unser Instinkt. "Nein, ich doch nicht, ich bin doch Vegetarier!" Hilft leider nix, von unseren natürlichen Anlagen her sind wir trotzdem ein Raubtier, ob wir nun Fleisch verzehren oder unschuldiges Gemüse...

1. Wir sehen aus wie Raubtiere: Unsere Augen sind vorne. Die Ohren sind nicht sehr beweglich und immer "angelegt", also aus Sicht des Pferdes im Status "aggressiv".
2. Wir denken wie Raubtiere. Geradlinig. Wenn wir etwas wollen, versuchen wir das zu bekommen, möglichst auf direktem Weg.
3. Wir handeln wie Raubtiere. Wir schleichen uns an. Wenn wir erschrecken, ziehen wir uns zusammen und halten fest (hauen die Klauen rein). Und lassen nicht mehr los.


Im Gegensatz dazu das Pferd, ein Beutetier.
1. Es sieht aus wie ein Fluchttier: Die Augen liegen seitlich am Kopf und ermöglichen beinahe Rundumsicht. Pferde sehen im Zeitraffer, jede Bewegung wirkt also noch viel schneller. Die Ohren sind beweglich, können verdächtige Geräusche rundherum orten.
2. Es denkt wie ein Fluchttier - im Zweifelsfall GAR NICHT, der Fluchtinstinkt übernimmt die Führung.
3. Es handelt wie ein Fluchttier. Zuerst davonlaufen, dann schauen ob es überhaupt nötig ist. Gekämpft wird dann, wenn es in die Enge getrieben ist und keinen Ausweg mehr hat.


Da haben wir den Salat - 2 Spezies, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Wenn wir nun mit dem Pferd eine Partnerschaft anstreben, müssen wir alle beide unsere Natur überwinden. Das können wir bewusst üben, wenn wir das Problem erstmal bemerkt und verstanden haben. Wir können uns und unserem Pferd Gewohnheiten und Fähigkeiten antrainieren, um diese Kluft zu überbrücken.

Aber nun - der STRESS oder Druck - ob nun eingebildet oder tatsächlich gerechtfertigt, das macht leider keinen Unterschied. Wenn wir in Stress geraten, kommt unsere Natur zum Vorschein, ob wir wollen oder nicht. Dann sagt das Pferd "ich muss fliehen", und wir Menschen sagen "nein du musst dableiben, stillstehen, in den Hänger einsteigen, über das Hindernis springen, eine schöne Piaffe machen", oder was immer wir gerade eben vom Pferd verlangen.

Dabei wäre die Lösung so einfach - denke wie ein Pferd, und gib dem Pferd was es braucht, also lass zB ein extrovertiertes Pferd seine Füsse bewegen. WARUM können wir das manchmal nicht tun? Weil wir natürlicherweise unter Druck zumachen, nicht fähig sind lateral zu denken. Der einzige Gedanke ist unser Ziel. Oje. 

Was können wir tun, um solche Situationen in Zukunft gar nicht entstehen zu lassen? Unsere Komfortzone - und die unseres Pferdes - ausdehnen, damit uns beide - oder wenigstens einen von uns - die Situation gar nicht erst stresst. Und das geht nur durch "exposure and experience", wie Pat Parelli sagt. Also sich verschiedenen Situationen aussetzen und dabei Erfahrungen sammeln. Vermeiden hilft da leider nichts...